31. Oktober 2014. – Zurzeit tobt wieder einmal eine jener Diskussionen um Worte, die in Deutschland so beliebt sind. War also die DDR ein „Unrechtsstaat” oder vielleicht ein bisschen auch ein Rechtsstaat? Als ob es darauf ankäme. Sie war nach eigenem Selbstverständnis eine Diktatur. Aber alles war bekanntlich nicht schlecht an den deutschen Diktaturen. Die Arbeiter hatten Arbeit, die Schüler waren nicht so frech, Frauen konnten nachts ohne Angst durch den Stadtpark, Asoziale und Ausländer kannten ihren Platz. Und ziemlich vielen ging es ziemlich lange ziemlich gut.
Nicht nur manche Linke haben Probleme mit der einfachen Erkenntnis, dass eine Diktatur auch dann eine Diktatur bleibt, wenn sie soziale Züge hat und sich in ihr für viele ganz kommod leben ließ. Daran erinnert die Ludwig-Siebert-Straße in der schönen Stadt Rothenburg ob der Tauber. Benannt ist sie nach einem Mann, dem bei seinem Tod 1942 bescheinigt wurde, ein „vorbildlicher Nationalsozialist“ und „treuester Gefolgsmann Adolf Hitlers“ zu sein.
Nun gut, bei Trauerfeiern übertreibt man gern, zumal bei einem vom Führer höchstselbst angeordneten Staatsbegräbnis. Aber Siebert war nicht irgendjemand. Der ehemalige Bürgermeister von Rothenburg trat früh in die NSDAP ein, wurde SA-Obergruppenführer, Landtags- und Reichstagsabgeordneter und schließlich Ministerpräsident von Bayern, wo er im Gefolge der „völligen Hineinstellung Bayerns in die Politik des Führers“ die Verfolgung von Sozialdemokraten, oppositionellen Katholiken und Kommunisten, etwa im KZ Dachau, und natürlich die Enteignung, Internierung und Deportation der Juden mit zu verantworten hatte. Kein Wunder, dass die amerikanischen Besatzer 1945 verfügten, die 1934 nach Siebert benannte Straße sollte fortan wieder „Obere Bahnhofstraße“ heißen.
Zehn Jahre später hatten die Amis in Bayern weniger zu melden. Also beschloss der Rothenburger Stadtrat am 29. Juli 1955 einstimmig – mit den Stimmen der SPD also – die Rückbenennung der Oberen Bahnhofstraße in „Ludwig-Siebert-Straße“. So heißt sie bis heute.
In der Begründung des Stadtrats heißt es, man müsse auch die Verdienste Sieberts betonen, zum Beispiel das von ihm als Ministerpräsidenten begründete (und nach ihm benannte) Hilfswerk Alt-Rothenburg und die Tatsache, dass Rothenburg unter seiner Ministerpräsidentschaft “einen ständigen Posten im Haushaltsplan des Landes Bayern” hatte. Na bitte. Alles war ja nicht schlecht am Nationalsozialismus, jedenfalls nicht für Rothenburg. Darum begrüßte der „Fränkische Anzeiger“ die Rückbenennung mit dem Hinweis, damit erfülle die Stadt „eine selbstverständliche Ehrenpflicht“. (Man weiß ja: Meine Ehre heißt Treue. Schließlich hatte Siebert der Stadt Rothenburg ob der Tauber seinerseits ein im Burggarten aufgestelltes „Ehrendenkmal“ gestiftet, weil sich die Stadt von Anbeginn an als eine Hochburg des Nationalsozialismus gezeigt und bewährt habe). So werde „der Name Ludwig Siebert über alle politischen Entscheidungen hinweg in Rothenburg unvergessen bleiben“. Genau. Manche „politischen Entscheidungen“ mögen, na, ein wenig unglücklich gewesen sein, aber was zählen die Enteignung von Juden (man darf ja nichts sagen heutzutage, aber …) und das Zusammenschlagen von Kommunisten (ich bitt’ Sie!) gegen einen festen Posten im Haushaltplan?
Gut, das war 1955. Noch bei einer Diskussion über Siebert im August 2013 kam man „zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass trotz einzelner Wohltaten für Rothenburg Ludwig Siebert in das Unrechtssystem des NS-Staates verstrickt war, indem er sich passiv verhielt und gegen offenkundiges Unrecht nicht einschritt“. Wie man zum „treuesten Gefolgsmann Adolf Hitlers“ wird, indem man sich „passiv verhielt“, mögen die Rothenburger mit sich ausmachen.
Die Aufregung über solche Sachen ist leider selektiv. Was an welcher Diktatur nicht schlecht gewesen sein soll, das hängt von der politischen Einstellung ab. Schade. Man müsste sich in Deutschland auf die Erkenntnis einigen können, dass es im Falschen des Totalitarismus nur ein richtiges Leben gibt: im Widerstand.
„Fränkischer Anzeiger“: Veränderte Quellenlage und größeres Interesse
W. St. – Soweit Alan Poseners Artikel. Unter der Headline „Straßen-Namensfrage wird zum Medienthema“ griff Dieter Balb (diba) am 20. November 2014 im „Fränkischen Anzeiger“ das Thema auf und fragte erwartungsvoll: „Heißt die Straße bald wieder wie früher Bahnhofstraße? und meint anerkennend: „Mit dem in London gebürtigen Journalisten und Korrespondenten Alan Posener, Jahrgang 1949, ergreift ein anerkannt kritischer und durch seine Reportagen überzeugender Journalist das Wort und wundert sich nicht zuletzt darüber, wie es zweimal in der Geschichte zur Siebert-Straße kam.“
Lokal hielten seit vielen Jahrzehnten immer wieder mal Leserbriefe und Zeitungsbeiträge das Thema am Kochen, wobei festzustellen sei, so Balb, dass es noch nie so viele publizierte Erkenntnisse über Siebert gegeben habe wie heute, so dass man sich nun ein fundierteres Bild machen könne. „Dies liegt nicht an einer veränderten Quellenlage, sondern daran, dass in der Nachkriegszeit bis in die achtziger Jahre hinein einfach kaum Interesse am Erschließen von entsprechenden Quellen und Zeitzeugen bestanden hat.“
Presse-Echo in Bayern
Nach Erscheinen des Artikel im „Fränkischen Anzeiger“ titelte Horst M. Auer in den „Nürnberger Nachrichten“ am 24. November „Die ,Straße des vorbildlichen Nationalsozialisten’“. Daraufhin verbreitete mittags die Deutsche Presseagentur (dpa) das Thema, das dann am gleichen Tag bereits in der „Mittelbayerischen Zeitung“ mit „Kritik an Nazi-Straße in Rothenburg“ zu lesen war, anderntags in der „Augsburger Allgemeinen“ („Fränkische Straße trägt Namen einer Nazi-Größe“), im „Merkur“, in der tz München („Straße nach NS-Funktionär benannt“), in der „Süddeutschen Zeitung“ („Streit um Straßennamen“), in der „Main-Post“ („Straße in Rothenburg trägt Namen von Nazi-Größe“), im „Forum Freising“ („Straße nach NS-Funktionär benannt“) und in „NachrichtenHeuteDeutschland“ und 24de (Rosenheim).
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