Von Wolf Stegemann
Er war bis 1921 Stadtpfarrer und Heimatforscher in Rothenburg, danach Pfarrer in Nürnberg, trat dort 1925 in die NSDAP ein, wurde deren Wahl- und Gauredner, war Inhaber des goldenen Ehrenzeichens und der silbernen Dienstauszeichnung der NSDAP sowie Ehrenmitglied des Vereins Alt-Rothenburg, der offensichtlich stolz auf ihn war, denn Dr. Martin Weigel, von dem die Rede ist, verfasste viele Stadtführer, Schriften und Aufsätze über Rothenburgs Geschichte. 1941 gab der Verein ein Buch heraus, das Martin Weigel geschrieben und der Verlag Gebr. Schneider („Fränkischer Anzeiger“) verlegt hatte. Ein vom Inhalt unverfängliches Buch, das mit dem Titel „Wappen und Siegel“ über deren Zusammenhang mit der Stadtgeschichte informierte. Doch das beigelegte dreiseitige Grußwort des Verfassers an die „lieben Mitglieder des Vereins Alt-Rothenburg“, das einem Vermächtnis gleichzusetzen ist, hat es wegen der starken nationalsozialistischen Sinngebung in sich. Martin Weigel, Gründungsmitglied des Vereins Alt-Rothenburg, sinnt als 75-jähriger Mann darüber nach, dass die bis dahin praktizierte Geschichtsschreibung des Vereins, wenn sie auch „treulich“ war, so doch bislang kein Ziel hatte. Denn erst durch den Nationalsozialismus habe die Geschichtsschreibung der Stadt Rothenburg einen Sinn erhalten. Er schreibt:
„Denn gerade die Erforschung und Darstellung der Rothenburger Geschichte – nunmehr aber in zielbewusster Ausrichtung auf die Gegenwart – ist die große dankbare Aufgabe des Vereins in der Zeit des neuen nationalsozialistischen Reiches. Sagen wir es offen: Der Wert unserer Stadt liegt nicht im Alter ihrer Steine, in der Menge ihrer Gäste, in der Fülle ihrer Sammlungen, ja nicht einmal in der Zahl ihrer Einwohner das alles ist letzten Endes materialistisch und nicht nationalsozialistisch gedacht -, sondern in der Bedeutung, die sie hat für die innere Erneuerung unseres Volkes, für die Erwachung und Stärkung jener deutschen Ideale, die unsere Gegenwart braucht und unser großer Führer sehen will und vorlebt. Nicht ein Schatzkästlein aus der Vergangenheit, sondern ein lebendes und lebenspendendes Herzlein im dritten Reich soll unsere Heimatstadt sein, wie sie es im ersten Reich war. Hierzu aber gilt das Wort: ,Der Geist ist es, der lebendig macht’. Er hat die Steine aus einem Haufen zusammengefügt zu einem harmonischen Ganzen, er hat die Wohnungen und Mauern gebildet, Rathäuser und Kirchen erbaut, die Grafen, Ritter, Bürger, Krieger und Gelehrten beseelt, die hier hausten, er spricht aus den alten Chroniken und neuen Zeugnissen aus aller Welt, die wir über Rothenburg haben, er lebt und webt in die Geschichte und im Antlitz der Stadt, er muß uns Männern und Frauen in und um Rothenburg wieder zu eigen werden: Der regsame, schöpferische, kampffrohe, fränkisch-deutsche Geist, der je und je unserem heimischen Blut und Boden entsproß…“
Europa wird neu geordnet und Deutschland zurecht gerichtet
Martin Weigel zählt dann auf, was Rothenburg im Laufe seiner Geschichte alles verloren hat, den Landkreis und die Hälfte seines Gebiets an Württemberg, so dass die Tauber zum Grenzflüsschen wurde.
„Rothenburg wird darüber noch weitere Werte verlieren, aber eines wird es hoffentlich nicht verlieren: ,Das Vertrauen auf sich selbst und den Glauben an die Gerechtigkeit im neuen nationalsozialistischen Reich’. Das große Unrecht von Versailles 1919 wird zur Zeit wieder gutgemacht, Europa wird neu geordnet, Deutschland zurecht gerichtet. Jetzt ist die Stunde gekommen, da auch das Unrecht, das 1810 der kleinen aber weltberühmten Stadt an der Tauber zugefügt wurde, wieder gut gemacht werden kann und muß. [Mit Unrecht meint er die napoleonischen Pariser Verträge.] Der Verein Alt-Rothenburg, der Hüter der Geschichte und Vertreter des genius loci in der Bürgerschaft muß hier – innerhalb seines Wirkungskreises – die Fahne vorantragen und für Rothenburg sein geschichtliches Recht fordern, die beherrschende Stadt an der Tauber zu werden, wie vordem… Nur ,Menschen’ bringen ein Gemeinwesen zur Blüte. Der rassisch kräftige und intelligente, fleißige Landwirt im Gebiet der oberen Tauber braucht in er Mitte seiner Siedlungen ,Die Stadt’. In der der Handwerker und Kaufmann sitzt. […]Dort entstehen naturgemäß die Bildungsstätten für seine künftigen, geistlichen und weltlichen Führer.“
Weigel malt sodann ein Bild von Rothenburg als „nationalsozialistische Schulstadt“, als „Stätte bester körperlicher und geistiger Erziehung für die deutsche Jugend“, von Großbetrieben, in die der „Menschenüberschuss“ aus den Dörfern Arbeit finden wird. Rothenburg sei nah dran gewesen, so Weigel weiter, einen eigenen „wertvollen bodenständigen Arbeiterstand“ zu bilden, „was jetzt der Nationalsozialismus nachholen kann“. – Martin Weigel:
„Es sind keine Zukunftsbilder, die ich hier male. Denn Nationalsozialisten müssen in die Zukunft blicken. Neuland liegt vor uns. […] Heil Hitler! Dr. Martin Weigel, ehemaliger Stadtpfarrer in Rothenburg o. Tbr. Inhaber des goldenen Ehrenzeichens und der silbernen Dienstauszeichnung der NSDAP. – Ehrenmitglied des Vereins Alt-Rothenburg.“
Gott sei Dank keine nationalsozialistische Zukunft
Nationalsozialisten haben in die Zukunft gesehen, wie Martin Weigel dies forderte. Sie wussten, was sie seit Jahren tun und wie die Zukunft aussieht. Daran ließen sie sowohl die Partei- wie die Volksgenossen in ihren Reden und Schriften regen Anteil nehmen. Sie sahen die Vollendung der Knechtschaft Europas unter dem Hakenkreuz, sie sahen die deutschen Todesfabriken im Osten, in denen Millionen von Menschen industriell ermordet wurden, sie sahen die erschlagenen, vergasten und vertriebenen Juden aus Europa, sie sahen die ermordete Intelligenz in den besetzten Länder, sie sahen den weiten Raum, aus denen die russischen „Untermenschen“ vertrieben wurden, um Südtiroler Bauern und anderen Siedlern aus Deutschland Platz zu schaffen, sie sahen die Ermordung behinderter Männer und Frauen aus der eigenen Nachbarschaft, sie sahen und sahen und sahen. Doch diese Zukunft wurde 1945 mit von den Alliierten mit großen Opfern beendet – Gott sei Dank. Deutschland hat, wie Weigel es voraussah, 1945 wirklich Neuland betreten. Das sah aber anders aus, als es sich Dr. Martin Weigel gedacht hatte – Gott sei Dank. „Deutschland wird zurecht gerichtet“ schrieb Martin Weigel und meinte damit die neue nationalsozialistische Ordnung. Dieser Satz galt auch nach dem Ende des Dritten Reiches 1945 mit einer kleinen Buchstabenänderung, die dem Satz aber einen anderen Sinn gibt: „Deutschland wird zu Recht gerichtet!“ Weigel erlebte dies nicht mehr. Er starb 1943.
Der Rothenburger Pfarrer und Heimatkundler war ein durchdrungener Nationalsozialist. Die Belege dafür hat er hinterlassen, die zum Teil in dieser Dokumentation dargestellt sind. Es ist an der Zeit darüber nachzudenken, ob ihm die ehrende Nennung einer Straße in Rotheburg ob der Tauber gebührt.
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Zusätzliche Literatur: R. Schmitt, Martin Weigels Verhältnis zum Nationalsozialismus, in LINDE 95/2013, S. 42-45