Von Wolf Stegemann
Noch in den 1950er-Jahren lernten Rothenburger Volksschüler – so auch der Autor – im Heimatkundeunterricht in der 3./4. Klasse bei Lehrer Hornn, dass die Juden das Wasser des Herterichsbrunnen vergiftet hätten, um die Rothenburger Einwohner zu töten. Dies hätte ein Schäfer beobachtet und somit die Stadt gerettet. Daher hätten die Schäfer ihre Wolfgangs- bzw. Schäferskirche in der Klingenbastei verlassen dürfen, um einmal im Jahr in die Stadt zu ziehen und um den Brunnen zu tanzen. So sei der Schäfertanz entstanden. Das ist natürlich eine Legende, die der Rothenburger Antijudaismus im 18. Jahrhundert verbreitete, als Archidiakon Seyboth eine reichlich ausgeschmückte Predigt darüber hielt, wie die Juden Ende des 14. Jahrhunderts durch Tötung der Einwohner aus Rothenburg ihr altes Jerusalem entstehen lassen wollten. Dafür wurden sie verbrannt und „die Stadt auf ewig von den Juden geräumt“. Martin Weigel, evangelischer Stadtpfarrer und Stadtchronist (1866 bis 1943), aber auch Antisemit und Nationalsozialist, verbreitete diese Predigt in seiner Stadtchronik und in anderen Schriften auch schon lange vor der NS-Zeit. In der Ausgabe 1935 „Führer durch Rothenburg ob der Tauber“ geht Dr. Martin Weigel ausführlich darauf ein. Der Stadtarchivar und Antisemit Dr. Martin Schütz („Eine Reichsstadt wehrt sich. Rothenburg ob der Tauber im Kampf gegen das Judentum“ 1938) verbreitete im Nationalsozialismus diese Legende als Wahrheit weiter, so dass sie über das Kriegsende hinaus noch im Schulunterricht erzählt wurde. Doch in den Stadtführern für Touristen findet sich diese Legende nach 1945 nicht mehr. Lapidar heißt es in dem von Baurat Eger bearbeiteten „Rothenburger Führer“ (o. J.) über den Herterichsbrunnen: „Bei den Schäfertänzen hat er einstens eine große Rolle gespielt.“ Und an anderer Stelle steht: „Alljährlich am Namenstag des Heiligen (Wolfgang, Patron der Schäfer) pilgerten einstmals die Schäfer zur Kirche, wo sie nach dem Gottesdienst auf dem Marktplatz ins Gasthaus zum Lamm und nach dem Essen zum Herterichsbrunnen zogen. Den Festtag beschlossen sie durch einen Schäfertanz um den Brunnen.“ Im bekannteren Schnizlein-„Rothenburg-Führer“ (42. Aufl. 1963) steht ebenso nur ein Satz dazu. Dass der Schäfertanz 1911 durch den Kunstgärtner Theodor Schletterer zu neuem Leben erweckt wurde.
Auch Vereine mussten sich dem Nationalsozialismus anpassen
Tatsächlich ließ in jenem Jahr der Turnverein Rothenburg bei einer Faschingsveranstaltung im Wildbad-Saal den Brauch des Schäfertanzens erstmals wieder aufleben. Heute wird er mehrmals jährlich auf dem Rothenburger Marktplatz aufgeführt. Seitdem dient der Schäfertanz – wie das Festspiel „Der Meistertrunk“ und die „Hans-Sachs“-Spiele auch – vor allem dem Tourismus. Im Ersten Weltkrieg wurde nicht getanzt, erst wieder ab 1921. Bis 1932 fanden 89 Aufführungen statt. Zwischen 1933 und 1939 gingen die Schäfertänzer auf Reisen nach London, Hamburg, Berlin, Nürnberg und Heidelberg. 1933/34 wurde auch der „Historische Schäfertanz“ – wie andere Vereine auch – nationalsozialistisch gleichgeschaltet. Im Vorstand gab es dabei keine Veränderungen. Sie waren bereits regime-treu. Der Verein wurde von der Stadt finanziell gefördert und stark in den „Kraft durch Freude“-Tourismus eingebunden. Dafür vertrat der volkstümliche Verein das nationalsozialistische Rothenburg auch nach außen, beispielsweise wenn es galt, dem Gauleiter Julius Streicher Geburtstagswünsche zu überbringen (Februar 1936). Dann reiste der Vereinsführer Theodor Schletterer in Begleitung kostümiert nach Nürnberg.
56 Rothenburger reisten zum Internationalen Volkstanz nach London
Das größte Erlebnis der Schäfertänzer war allerdings eine Reise nach London, wo die Rothenburger ihre Tänze 1935 vor internationalem Publikum vorführen konnten. In London, „der Hauptstadt des den ganzen Erdball umspannenden englischen Weltreiches“, fand vom 14. bis 20. Juli 1935 ein internationales Volkstanztreffen statt. Aus Rothenburg reisten 56 Personen nach London. Neben dem Vortänzer und Oberschäfer Theodor Schletterer waren das noch Prof. Dr. Otto Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Volkskunstkommission, Bernhard von Peinen, Gaureferent im Gau Kurmark der NSG-Kraft durch Freude, Musikmeister Georg Streckfuß, Leiter des Musikwesens in Rothenburg sowie 48 Tänzer und Tänzerinnen und acht Musiker in kleiner Bläserbesetzung. 30 Personen waren als Gäste von dem Londoner Veranstalter eingeladen. Für die übrigen mussten 9000 Reichsmark aufgebracht werden. Daran beteiligten sich das Reichspropagandaministerium (2.000 RM), der bayerische Ministerpräsident (1000 RM), die Deutsche Arbeitsfront der NSDAP (1500 RM), die Stadt Rothenburg (1000 RM) und der Verein Schäfertanz selbst (1000 RM). Allerdings wäre die Reise im letzten Moment geplatzt, da die Devisenanträge nicht genehmigt wurden. Weder das Auswärtige Amt noch das Propagandaministerium konnten (oder wollten) helfen. Schließlich regelte der Landesgruppenleiter der Auslands-NSDAP in London, Pg. Otto Bene, das Problem so, dass die Rothenburger ohne Devisen reisen konnten. Untergebracht waren die Rothenburger im Whitehall Hotel am Bloomsbury Square.
Die Schäfer marschierten mit der Hakenkreuzfahne durch London
Neben Tanzen auf verschiedenen Veranstaltungen standen Besichtigungen der Stadt und Umgebung auf dem Programm. Der erste Auftritt fand im Hyde-Park statt, wobei der Schäfertanz „in Wort und Bild in den Vordergrund gestellt wurde“. Natürlich hatten die Tänzer nicht nur ihre blumengeschmückten Schäferschippen dabei, sondern auch die Hakenkreuzfahne. Oberschäfer Theodor Schletterer schrieb darüber in seinem Reisebericht:
„Hier erlebten wir es, dass zum ersten Mal in England die Hakenkreuzfahne in den Straßen Londons getragen wurde. Wir trugen sie aber nicht etwa schüchtern über den Rücken hängend, sondern stolz und hoch flatterte sie vor uns her. Herzliche Ovationen galten unserem Vaterland Germany. Etliche Deutsche unter den Passanten grüßten mit ,Heil Hitler’. Das erfüllte uns mit Stolz und großer Freude, denn der Zweck unseres Tuns war nichts anderes als dir Ehre zu machen und dich würdig zu vertreten, du unser geliebtes Vaterland.“
Und an anderer Stelle des propagandistisch und somit stellenweise übertrieben aufgeblähten Reiseberichts, den der „Fränkische Anzeiger“ als Sonderbeilage „Der Rothenburger Schäfertanz in London“ druckte, steht:
„Bezeichnend für den Wert unserer Mission in England war folgendes: Unser Dolmetscher hörte, wie eine englische Dame sagte: ,Das sind Deutsche und das sollen Mörder sein?’ Ferner konnte man hören, dass die Deutschen besonders auffielen durch ihre Disziplin und ihr geschlossenes strammes Aufmarschieren.“
Im Hyde-Park trafen die Schäfertänzer einen „lieben alten Rothenburger, der die Heimat schon viele Jahre nicht mehr sah, und der, als er unverfälschte Rothenburger ,Muttersprache, Mutterlaute’ wieder hörte, weinte wie ein Kind“. Ausflüge in die Umgebung, so auch nach Greenwich, schlossen sich an. Ein Brite fragte die Rothenburger, ob sie mit Hitler zufrieden seien und ob er den Krieg wolle.
„Wir gaben ihm selbstverständlich die rechte Antwort und spontan fiel er einem von uns um den Hals und küsste ihn. Von da an war alles ein Herz und eine Seele.“
Beim 5-Uhr-Tee mit Ball, zu dem die deutsche Kolonie die Rothenburger eingeladen hatte, gab es wieder politische Gespräche und Stürme der Begeisterung für Hitler. In der Albert-Hall durften die Rothenburger den großen internationalen Gala-Tanz-Abend mit „The Rothenburg Shepherd’s Dance“ eröffnen. „Als wir die Bühne tänzelnd verließen, dröhnte die Riesenhalle von einem wahren Sturm der Begeisterung, der erst aufhörte, als eine andere Nation ihre Vorführung begann.“
Schletterer zeigte sich wenig begeistert von den Tänzen anderer Nationen
Anderntags tanzten sie im Park der „Residenz des Erzbischofs von Connterbury“ (sic! Canterbury). Dabei tauschte ein Schäfertänzer mit einer Französin die Fahnen: Hakenkreuz gegen Trikolore. Dazu Theodor Schletterer: „Ein Bild der wahren Völkerverbrüderung.“ Das gemeinsame Tanzen sah er dagegen nicht so verbrüdernd. Er beurteilte die Volkstänze anderer Nationen von seinem damals üblichen deutsch-nationalen Standpunkt ziemlich überheblich, was der „Fränkische Anzeiger“ auch veröffentlichte. Vielleicht fehlte dem biederen Gärtnermeister aus Mittelfranken auch nur das Wissen und Verstehen der anderen europäischen Kulturen: Frankreichs Tänze machten auf ihn keinen guten Eindruck, die Polen waren da schon besser. Italienische Tänze wirkten billig, die rumänischen waren „zum Verrücktwerden“, ein richtiger „Nervenschock“, die Russen tanzten zu „brutal sinnlich“ und wenig volkstänzerisch und Spaniens Tänze waren zu schlicht. Doch die schweizerischen Tänze mit Kuhglockengeläut, Jodeln und Fahnenschwingen fielen ihm angenehm auf. Die Litauer „waren ganz nett“ und die Engländer bekamen sowieso von ihren Landsleuten Beifall, ganz gleich, wie sie tanzten. Über die Bulgaren mit ihren Dudelsäcken, Trommeln und Pfeifen, die den Schluss des Abends bildeten, ließ sich Schletterer nicht aus. Sein Resümee: „Wir hatten alle das Gefühl, mit unserem Schäfertanz einen vollen Erfolg erzielt zu haben. Mit diesem stolzen Bewusstsein bestiegen wir unseren Bus und fuhren ins Hotel zurück.“
Der „Fränkische Anzeiger“ druckte ab, was in der „Times“ stand: „Der Rothenburger Schäfertanz war ein vollendetes Beispiel des wahren Volkstanzes, der durch eine ungebrochene Tradition in seiner Reinheit bewahrt worden ist.“ Im „Daily Telegraph“ stand: „Man erinnert sich beim Rückblick auf den Abend besonders an die Fröhlichkeit des Rothenburger Schäfertanzes.“
Tanzmusik war widerlich und rote Fingernägel mochte er nicht
Mit dem Dampfer „Europa“ ging es am Ende des Internationalen Volkstanzfestes in London von Southampton aus nach Bremen zurück. Auf dem Dampfer begegnete Theodor Schletterer den „feinen Damen und Herren der besseren Gesellschaft“. Über sie schrieb er wenig begeistert:
„Als wir spät zu Bett gingen, tauchte der Mond die unendliche Wasserfläche wie in lauteres Gold, so dass uns bald zur Besinnung kam, dass es Größeres gibt als widerlich sinnliche Tanzmusik, rote Fingernägel und künstlich gezogene Augenbrauen…“
Mittwochabend wurden die Schäfertänzer von Oberbürgermeister Dr. Liebermann und vielen Rothenburgern am Bahnhof stürmisch empfangen und mit der Blaskapelle zum Marktplatz geleitet, wo Liebermann die Heimkehrer begrüßte:
„Der Schäfertanz hat den Engländern gezeigt, dass wir Deutschen keine Barbaren sind. Es handelte sich bei der Expedition nicht nur um frohe Stunden, sondern um einen völkischen Zweck.“
Dabei verglich der Redner die „Schäfertanzexpedition nach London“ mit einem Frontkämpferbesuch. Schletterer dankte dem Oberbürgermeister und ergänzte dessen Worte, dass diese Expedition von ganz besonderer „propagandistischer Bedeutung“ für Rothenburg und froh darüber sei, wieder auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt stehen zu dürfen. „Ich möchte fast das Gelöbnis ablegen, nie wieder woanders als hier den Schäfertanz zu tanzen. Sieg Heil auf die Tauberstadt!“ Das Gelöbnis hielt er freilich nicht. Ein Jahr später tanzten die Schäfertänzer in Hamburg.
1936 Weltkongress der Volkstänzer in Hamburg: Schäfertänzer dabei
Im Juli 1936 fuhren die Schäfertänzer nach Steinach und von dort mit einem D-Zug zusammen mit Hans-Sachs-Spielern, deren Vorsitzender Schletterer auch war, zum Freizeit-Weltkongress der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ nach Hamburg, wo sich 300.000 KdF-Volksgenossen versammelt hatten, darunter 3.000 Aktive. Am Bahnhof angekommen, mussten sie „in wohlgeordnetem Zug vom Bahnhof in die Bahnhofshalle“ gehen, wo sie von „Abertausenden“ empfangen wurden. Unter ihnen Volksgenossen aus Rothenburg und Franken. „Durch ein Spalier von Politischen Leitern (NSDAP) und unter jubelnden Zurufen, begeben wir uns zum Bahnhofsvorplatz. Sprechchöre riefen: ,Unseren Gästen aus Franken ein dreifaches Sieg Heil!’“. Eine Musikkapelle spielte auf. „Die Menschen jubeln und jubeln. Es ist, als ob wir aus einer siegreichen Schlacht heimkehren würden.“ Die Rothenburger wohnten mit anderen Süddeutschen im Gesellschaftshaus Bans – dem Besenbinderhof. An allen größeren Plätzen der Stadt gaben Musikkapellen Standkonzerte. Der Schäfertanz und die Hans-Sachs-Vereinigung wurden zu verschiedenen Zeiten und Plätzen eingesetzt. Die Hans-Sachser bestritten mit ihren deftigen Schwänken einen Teil des „Fränkischen Heimatabends“, der während des Kongresses stattfand. Dem „Fränkischen Anzeiger“ schrieben sie ein Postkarte: „Wir in Hamburg weilenden Rothenburger grüßen unser Rothenburg und seine Bewohner von der Waterkante!“
Hamburger reckten die Hälse, um die Rothenburger zu sehen
Der Samstag (25. Juli) war Rothenburgs großer Tag in Hamburg. Die Schäfertänzer tanzten am Berliner Tor und abends mit internationalen Tanzgruppen auf dem Zoogelände. Zwischendrin schlenderten die Rothenburger in ihren Schäfertanz-Kostümen Dreispitzhüten, Samtwesten, Lederhosen, Schnallenschuhen und die Tänzerinnen mit echten oder falschen Haarlocken durch die Straßen von Hamburg, wo sie „unentwegt von einer größeren Menschenmenge“ neugierig „und mit gereckten Hälsen“ betrachtet wurden. Die Herren traten aber auch in Zivil einheitlichen auf. Mit weißen Hosen, Schuhen und Mützen und einem blauen Jackett sowie einem Schild mit der Aufschrift: „Weltkongress – Schäfertanz Rothenburg ob der Tauber“. Die Weltpresse war vertreten, als auf einer Festwiese mit Gruppen aus Ungarn, Belgien, Rumänien, Dänemark, Schweden, der Schweiz, Polen und den Niederlanden auftraten. Die Rothenburger waren enttäuscht, denn es sollten nur ausländische Tanzgruppen auftreten, nicht aber die Schäfertänzer. Doch da intervenierte der mitgefahrene Rothenburger NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker bei den Veranstaltern mit dem Ergebnis, dass die Rothenburger zum Abschluss der Veranstaltung tanzen durften. Theodor Schletterer dankte mit Tränen in den Augen, hingerissen von dem Augenblick, als er der riesigen Menschenmenge durch das Mikrofon dankte und den Hamburgern ein lautes Sieg Heil! zurief. Danach spielte eine SS-Kapelle das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied. Theodor Schletterer in seinem Bericht: „Beglückt melden wir unserem Gauleiter, Frankenführer Julius Streicher, das erfolgreiche Abschneiden seiner Franken auf dem Weltkongress.“
Schletterer lud Propagandaminister Goebbels nach Rothenburg ein
Theodor Schletterer hatte als Leiter der Rothenburger Abordnung seinen großen Tag, als er zu einem von Reichsminister Göbbels (sic! So steht’s in der Zeitung) im Auftrag der Reichsregierung veranstalteten Tee-Empfang in das Hotel Atlantik eingeladen wurde. Eingeladen waren noch Vertreter der ausländischen Delegationen, der Partei, des Staates, der Wehrmacht und Presse. Vor dem Hotel bezeugte die SS-Verfügungstruppe dem Rothenburger Schletterer, der im Oberschäferkostüm erschienen war, die Ehrenbezeugung als gehörte er zu den Großen. Schletterer durfte dem Propagandaminister auch die Hand geben. Dazu der „Fränkische Anzeiger“: „Freundlich lächelnd nahm er die Grüße Rothenburgs entgegen. Auf Schletterers Bitte, doch auch Rothenburg einmal besuchen zu wollen, versprach Dr. Göbbels wahrscheinlich noch in diesem Jahr, etwa vor oder nach dem Reichsparteitag zu kommen. Der Reichsminister verabschiedete sich mit einem herzlichen Händedruck.“ Doch Goebbels kam nicht. Rothenburgs Kreisleiter Steinacker verabschiedete sich von den Schäfertänzern, um in Berlin an der Eröffnung der Olympischen Spiele teilzunehmen.
Im August 1936 traten sie im Olympiastasion in Berlin auf
Mit dem D-Zug ging es nach der Woche wieder nach Rothenburg zurück. Am Rothenburger Marktplatz wurden die Hamburg-Fahrer vom stellvertretenden Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt (später Bürgermeister) mit den Worten so begrüßt, als stünde Hitler selbst unter den Schäfertänzern:
„Deutschland ist wieder schöner geworden. Und in diesem neuen schönen Deutschland steht strahlend der Name Rothenburg, der auf dem Weltkongress in Hamburg einen so glanzvollen Erfolg hatte. Wir grüßen den Mann, der uns dieses neue Deutschland schuf, unseren Führer Adolf Hitler!“ Danach stimmte „alles mit dankbaren Herzen in den Ruf ein, der nun über den alten Marktplatz hallte!“
Zu den Olympischen Spielen reisten die Schäfertänter im August 1936 in die Reichshauptstadt Berlin, wo sie sich an der Veranstaltung “Musik udn Tanz der Völker” am 10. August beteiligten. Auch hier erregten sie wie zuvor in London und Hamburg großes Aufsehen.
Schäfertanz als Kultureinrichtung heute nicht mehr wegzudenken
Nach dem Krieg tanzten die Schäfer und Schäferinnen weiter und engagierten sich seit 1947 für den Wiederaufbau der teilweise zerstörten Innenstadt. Touristen, meist amerikanische, kamen wieder und die Stadt veranstaltete Kulturtage. So nahm der Schäfertanz-Verein innerhalb kurzer Zeit rund 6000 Reichsmark ein und ein Jahr darauf noch einmal 1000 Deutsche Mark. Zudem stifteten die Schäfertänzer zehn Meter Stadtmauer-Wiederaufbau. 1951 gingen die Schäfer und Schäferinnen wieder auf Reisen nach Frankfurt, Wiebaden und Bonn. Der Schäfertanz ist heute aus dem Gesamtbild der Touristenstadt Rothenburg nicht mehr wegzudenken. Noch immer unternimmt der Schäfertanz Fahrten in andere Städte, um dort zu tanzen, zum Beispiel nach Straubing zum Gäubodenfest und zum Oktoberfest nach München sowie in viele andere Städte im In- und Ausland. Mit dabei sind auch Besuche in den Partnerstädten. Doch wie jeder Verein hat auch der Schäfertanz heute Probleme, die er früher nicht hatte. Es fehlen zunehmend freiwillige Tänzer und Tänzerinnen, nicht aber das Publikum.
Siehe auch: Hans-Sachs-Gilde: Rothenburger Mimen brachten mit derben Bauernschwänken die Zuschauer zum Lachen. Vor, während und nach dem Krieg – bis heute
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Zur Person Theodor Schletterer
Geboren 1880 in Wertheim, gestorben 1958 in Rothenburg ob der Tauber. Der gelernte Kunstgärtner mit eigener Gärtnerei am Topplerweg und Geschäft in der Unteren Schmiedgasse war 1911 einer der zehn Gründer des Schäfertanzes und 1921 der Hans-Sachs-Gilde. Beide Vereinigungen leitete er Jahrzehnte lang und drückte ihnen seinen unverwechselbaren künstlerischen und erfindungsreichen Stempel auf. In seiner Person vereinigten sich der Dichter, der Tänzer, der Schauspieler und der Regisseur. Wie er seine Gewächse in der Gärtnerei mit Geduld, Vorausschau und viel eigenes Zutun zum Blühen brachte, so entwickelte er mit denselben Eigenschaften ein Stück Rothenburger Kultur und ließ sie blühen und gedeihen. Er schnitt die Hans-Sachser wie die Schäfertänzer auf Rothenburger Verhältnisse zu. Mehrmals versuchten auswärtige Tanzgruppen die Tanzfiguren der Rothenburger Schäfer zu übernehmen, was nie gelang. Als Schauspieler übernahm Schletterer meist selbst die Hauptrollen in den deftigen Schwänken von Hans Sachs, zu dessen besten Interpreten Schletterer gehörte und die Laienbühne heute zu den Besten dieser Art in der Bundesrepublik gehört. Dabei zeigte sich Schletterer humorvoll, pointensicher und lebensnah. Er verstand es zu begeistern, sagen Rothenburger, die ihn kannten. Nicht nur die Zuschauer, auch die Tänzer und Tänzerinnen, denen er als Oberschäfer voranschritt und sie „anpfiff“, und seine Schauspieler, denen er vormachte, wie man einen Hans Sachs auf die Bühne bringt. Theodor Schletterer war aber auch ein politischer Mensch und vertrat die Bayerischer Volkspartei vor 1933 im Stadtrat und nach dem Krieg die CSU.
Nachtrag: 1950 gehörten dem Vorstand als Vorsitzender des Hauptausschusses Theodor Schletterer (gest. 1958), als Schriftführer Hans Bach und als Kassier Wilhelm Düll an. Ehrenmitglieder wurden 1951 die Mitglieder Wilhelm Düll, Adolf Meixner, Korn und Karl Wehrwein, die seit 20, 25 bzw. 40 Jahren dem Verein angehörten.
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Quellen: Reisebericht Bernhard von Peinen, „im Ernting“ 1935. – FA-Sonderdruck „Der Rothenburger Schäfertanz in London“ vom 1. August 1935. – FA vom 25., 27., 31. Juli, 1. August 1936, 20. November 1950. – Schreiben Infant.-Reg. 245 vom 5. März 1940. – Website Schäfertanz (Aufruf Februar 2016). – Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber.