Von Wolf Stegemann
In den Entnazifizierungsunterlagen des früheren NS-Bürgermeisters Dr. Friedrich Schmidt befindet sich ein Brief an die Lagerspruchkammer Moosburg, wo Rothenburgs Ex-Bürgermeister interniert war, der ihn schwer belastet. Geschrieben hat ihn die Konzertsängerin Brunhilde Feige am 30. Mai 1947, die Tochter des früheren Stadtkantors an St. Jakob, Hans Feige. Zwischen ihm und dem Bürgermeister gab es eine Auseinandersetzung, die zur Entlassung Hans Feiges als Stadtkantor führte. Anlass dieser harten Maßnahme war, dass Hans Feige bei der Wahl über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 10. April 1938 mit „Nein“ gestimmt hatte. Dies wurde durch Gerüchte bekannt und kam auch zu Ohren des Bürgermeisters Dr. Friedrich Schmidt im Rathaus. Dieser schrieb an Feige zwei hintereinander folgende Briefe in die Wohnung Klingengasse 4a. Im ersten, am 9. August 1938 abgefassten Schreiben heißt es ohne Anrede:
„Hiermit untersage ich Ihnen das Betreten sämtlicher städtischen Gebäude, insbesondere des städtischen Musiksaales mit sofortiger Wirksamkeit. Sollten Sie trotz dieses Verbots irgendein städt. Gebäude betreten, so erfolgt gegen Sie strafgerichtliches Einschreiten. Schmidt.“
Das zweite Schreiben schickte der Bürgermeister am 5. September an den 61-jährigen Hans Feige, wiederum ohne Anrede:
„Der Titel ,Stadtkantor’ wurde an ehrenwerte Personen im Dienst der Stadt Rothenburg ob der Tauber verliehen. Diese Voraussetzungen sind bei Ihnen nicht mehr gegeben. Ich untersage ihnen daher ferner den Titel ,Stadtkantor’ zu führen. Das Führen des Titels ,Kantor’ mit einem anderen Zusatz, der Ihrem Beschäftigungsverhältnis entspricht, ist Ihnen unbenommen. Schmidt.“
NS-Frauenschaftlerinnen überwachten das Abstimmungsverhalten
Hans Feige war Beamter der Landeskirchenverwaltung und somit dem Bürgermeister dienstlich nicht unterstellt. Die Tochter Hans Feiges schilderte der Lagerspruchkammer in Moosburg den Vorfall und die Umstände aus Ihrer Sichtweise und Erfahrung. Ihr Vater, geboren 1877, sei ein „ganz überzeugter Antifaschist“ und habe mit seiner Meinung nie zurückgehalten, „was in einer ,Hochburg’ Rothenburg selbstverständlich berüchtigt und (er) seit 1933 fortwährenden Schikanen ausgesetzt“ war. Bei der Wahl zum Anschluss Österreichs am 10. April 1938 gab es keine Kabinen, sondern nur weißgedeckte Tische, zudem waren im Wahllokal NS-Frauenschaftlerinnen aufgestellt, um alles zu beobachten. Eine dieser Frauenschaftlerinnen denunzierte Hans Feige, der auf dem Wahlzettel offen sein Kreuz bei „Nein“ machte, schrieb die Tochter.
Gericht kritisierte 1939 die Kirche, weil sie nichts gegen Feige unternahm
Am 15. März 1939 kam es zu einem Urteilsspruch in Sachen Stadtkantorengehaltsforderungen, als die Kirchenstiftung St. Jakob in Rothenburg, vertreten durch Dekan Jelden, gegen die städtische Hospitalstiftung Rothenburg, vertreten durch Bürgermeister Schmidt, vor der Zivilkammer des Landgerichts Ansbach klagte. Die Stadt Rothenburg hatte an die Klägerin 850,64 Reichsmark an Zuschüsse für das Stadtkantorengehalt Feiges zu zahlen.
In der Urteilsbegründung („Im Namen des Deutschen Volkes“) vom 15. März 1939 wurde richterlich bestätigt, dass der Kündigungsgrund das „Nein“ Feiges zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war. Dies sei bereits am 11. April 1938, also einen Tag nach der Abstimmung, „stadt- und amtsbekannt“ gewesen. Weiter heißt es:
„Auch die Vertreter der Klägerin und der evang. luther. Kirchenverwaltung hätten von ihr Kenntnis gehabt. Der Vertreter der Beklagten (Bürgermeister) würde, wenn ihm Dienststrafgewalt über Feige zustände, sofort gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet haben [hier zeigt sich, dass die Abstimmung eine gefährliche Farce war], welches zweifellos zu ruhegehaltsloser Entfernung des Feige aus dem Amt geführt hätte, außerdem wäre seine sofortige Amtsenthebung umgehend verfügt worden. Die Klägerin (Kirche St. Jakob) habe jedoch bis heute in dieser Richtung nichts getan und damit das Verhalten des Feige gebilligt… Für die Stadt Rothenburg sei die Stelle des Stadtkantors seit 1. Mai 1938 nicht mehr besetzt, nachdem der Stelleninhaber Feige auf Grund seines Verhaltens bei der Abstimmung vom 10. 4. 1938 nach der in Deutschland geltenden Rechtsauffassung nicht mehr geeignet sei, sein Amt zu versehen.“ (15. März 1939 G 78/38/3).
Friedrich Schmidt beschimpfte die Tochter Feiges als Denunziantin
In seiner Verteidigung vor der Spruchkammer Rothenburg am 8. Juli 1947 stritt Ex-Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt alles ab, was im Fall Feige ihn hätte belasten können:
„Die Denunziantin Brunhilde Feige hat also alle Tatsachen ins genaue Gegenteil verkehrt und aus reiner Gehässigkeit oder aus Geltungstrieb völlig unwahre Behauptungen aufgestellt. Diese Denunziation trägt auch daran schuld, dass ich über 6 Monate länger in Internierungshaft verbleiben musste.“
Die Spruchkammer Rothenburg bewertete den Fall Hans Feige in ihrem Spruch gegen Dr. Friedrich Schmidt am 8. Juli 1948 nicht als belastend, da einerseits der Bürgermeister nicht der Dienstvorgesetzte des Stadtkantors war und andererseits die Angaben der Tochter „mit Vorsicht zu behandeln“ seien. So wurde der Bürgermeister im Entnazifizierungsverfahren von der Spruchkammer lediglich als „Mitläufer“ eingestuft (siehe: Entnazifizierung: NS-Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt mogelte sich mit 291 für ihn positive Aussagen und schrumpfte somit vom Hauptschuldigen zum Mitläufer“; siehe auch„Für den NS-Bürgermeister Friedrich Siebert gab es 1945 kaum eine Zäsur….“).
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Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Spruchkammer Rothenburg/Tauber, Nr. Sch 85. – Ein Foto von Hans Feige liegt bis jetzt nicht vor.
Siehe auch Richard Schmitt, Der Fall Hans Feige: Bürgermeister Friedrich Schmitt als Nazijurist. Das Vorgehen der Stadt gegen den Jakobskantor im Jahr1938, in LINDE 2014, S. 34-37