W. St. – Das Problem des Wiederaufbaus der zerstörten Häuser und Straßen der Stadt war im Vergleich zu anderen Städten komplizierter, weil hier ein Übermaß an denkmalpflegerische Grundsätze beachtet werden mussten und nicht die ganze Stadt zerstört war, sondern „nur“ rund 45 Prozent. Der amerikanischen Militärregierung in München musste auf Ersuchen des örtlichen Gouverneurs Oberleutnant Arthur Bull einen Bericht über die Schäden und deren Behebung vorgelegt werden. Diesem Bericht, dem später noch eine 16 Schreibmaschinenseiten umfassende Denkschrift in englischer Sprache folgte, schilderte die Aufbaumöglichkeiten in technischer, künstlerischen, denkmalschützerischer und finanzieller Hinsicht. Die Kosten wurden in diesem Bericht mit 12 Millionen Reichsmark beziffert.
Schon 1945 ein Wiederaufbauamt eingerichtet
Im Juni 1945 verhandelte in München der kommissarische Landrat Hans Wirsching mit dem Landesamt für Denkmalpflege über die Wiederaufbaufrage. Der Vorstand des Landesamts, Professor Dr. Lill, sicherte seine volle Unterstützung für die drei Städte München, Würzburg und Rothenburg zu. Die Tauberstadt besuchte er bereits am 26. und 27. Juli 1945, um sich vor Ort über die Schäden an den historischen Bauwerken zu informieren. An den Beratungen nahmen vom Landesamt für Denkmalpflege Generaldirektor Prof. Dr. Lill, Abteilungsdirektor Prof. Joseph Schmuderer und Ministerialrat Prof. Esterer teil, ferner von der Bezirksregierung Oberregierungsrat Dr. Schmidt und Regierungsbaurat Beck. Weitere Besprechungen schlossen sich an. Das Resultat dieser Besprechungen vom 26. Juli, 3. und 15. August 1945: Kreis und Stadt Rothenburg errichten gemeinsam ein Wiederaufbauamt, das mit einem Architekten, einer Schreibkraft und einem Baukontrolleur besetzt wurde. Das Amt hatte nur beratende Stimme und übernahm die Verbindung zwischen Landesamt und den Bauherren und war Weisungen des Landesamts für Denkmalschutz gebunden. Nachdem eingereichte Baupläne vom Bürgermeister und vom Wiederaufbauamt geprüft worden waren, gingen sie zur Genehmigung an den Landrat als Baupolizeibehörde. Die Kontrolle des Wiederaufbauamts übte der Landrat aus. Die Kosten wurden zwischen Stadt und Kreis aufgeteilt. Die Besetzung des Amts mit einem Architekten erfolgte in gemeinsamer Beratung des Landesamts mit dem Bürgermeister und dem Landrat. Der vorgeschlagene Architekt war dem Landesamt unterstellt. Ministerialrat Esterer empfahl der Stadt die Errichtung einer Bauhütte, die den handwerklichen Nachwuchs für die Eigenart der heimatlichen historischen Baugestaltung heranbilden sollte.
Kunstmaler Franz Bi als Berater im Stadtbauamt
Inzwischen war mit den Aufräumungsarbeiten begonnen worden. Baugesuche von Rothenburgern lagen bereits vor. Doch verzögerte sich der Baubeginn, da das bayerische Innenministerium wegen des nahenden Winters und mangelnden Baumaterials für ganz Bayern vom 15. November 1945 an jede Baumaßnahme zu unterbleiben hatte, was zudem bei manchen Bauwilligen den Bauwillen hemmte.
Aufgrund der Säuberungen im Zuge der Entnazifizierung musste der bis dahin amtierende Stadtbaumeister Birkel sein Amt niederlegen. Kreisbaumeister war der von allen Fachbehörden geachtete Eduard Knoll. Er war für das gesamte Bauwesen im Stadt- und Landkreis Rothenburg verantwortlich. Als Berater berief der Stadtrat den Bautechniker Beisbart sowie den Architekten und Kunstmaler Franz Bi in das Stadtbauamt. Am 17. Oktober 1945 konstituierte sich in einer öffentlichen Versammlung im Kaisersaal des Rathauses ein Ausschuss mit bombengeschädigten Hauseigentümern. In Anwesenheit von Bürgermeister Hörner, Prof. Schmuderer vom Landesamt für Denkmalpflege, Direktor Kreißelmeier, Ingenieur Schüßler, Architekt Bi und dem kommissarischen Landrat wurden Fragen der Materialbeschaffung, der Trümmerbeseitigung und -verwendung sowie der Finanzierung besprochen. Einigkeit bestand darüber, dass im Frühjahr 1946 mit den besprochenen Maßnahmen begonnen werden soll. Die zentrale Reglementierung des Baumarkes hemmte die örtliche Planung, so dass auch die vorgeschlagene Bauhütte nicht errichtet werden konnte. Dennoch gelang es noch im Herbst 1945 Schutt zu beseitigen und Baumaterial herbeizuschaffen. Innerhalb eines Jahres war die Stadt größtenteils so gut wie trümmerfrei. Als Förderer und Kunstfreund der Stadt zeigte sich Regierungspräsident Dr. Hans Schregle, der mit Rat, Tat und staatlichen Zuschüssen half.
In der ersten öffentlichen Ratssitzung an 2. November 1945 teilte Bürgermeister Friedrich Hörner mit, dass die Gründung der „Bauherrenvereinigung“ in Rothenburg ob der Tauber bereits erfolgt sei. Er berichtete über Zweck und Notwendigkeit dieser Gründung, den privaten Wohnungsbau zu fördern. Der Rat beschloss einstimmig, dieser Vereinigung, die durch den Wiederaufbau privater Häuser die Wohnungsnot lindere, einen Kredit von vorläufig 5.000 RM zur Verfügung zu stellen.
Sorgen um die Renaissance
Für den Wiederaufbau wertvoller Gebäude wurde an eine 1947 gegründete Arbeitsgemeinschaft gespendet. Die Stadt erhielt von diesen ersten Spenden 4.560 Reichsmark für den Wiederaufbau. 1947 trat auch eine Wiederbelebung der Bautätigkeit ein. In dieser Zeit errichteten verschiedene Gewerbetreibende auf dem Gelände ihrer Brandruinen behelfsmäßige Wohn- und Arbeitsräume. Von abgebrannten Patrizierhäusern ist u. a. die Renaissancefassade des Wagnerschen Hauses am Markt 6 in dieser frühen Zeit wieder aufgebaut worden. In einem Bericht des Denkmalpflegers an den amerikanischen Kunstschutzoffizier in Nürnberg vom 30. Mai 1947 heißt es:
„Sie werden begreifen, dass mir bei meinen Besuchen der armen Abgebrannten das Herz blutet, wenn ich sehen muß, wie der Aufbauwille der kleinen Leute durch Mangel an Baumaterial und amtliche Verfügungen bis zur Verzweiflung gelähmt wird. Rothenburg genießt als Kulturstätte von ungewöhnlicher Bedeutung internationalen Ruf und seine Kriegsschäden könnten in verhältnismäßig wenigen Jahren geheilt werden. Wäre es da nicht möglich, für Rothenburg eine Sonderstellung anzubahnen? Rothenburg ist nicht der Niederschlag anonymen Kapitals von Hypothekenbanken, spekulativen Geldinstituten oder Versicherungskonzernen, wie es z. T. die Großstädte sind, sondern der lebendige Niederschlag und beseelte Ausdruck von Menschen und ihrem ureigenen Werk. Deshalb wird Rothenburg wieder atmen und als Kulturstätte von menschlicher Größe und Schlichtheit zugleich künden.“
Bauplanlenkung für den Wiederaufbau verordnet
Rothenburg konnte atmen und der Wiederaufbau zügig weiterverfolgt werden. – Eine Verzettelung einzelner Bauvorhaben sollte vermieden werden. Denn, wie der Kunstkenner Georg Dehio 1874 bewundernd schrieb, sei „Rothenburg als Ganzes ein Denkmal“. Die Bezirksregierung forderte eine Baulenkung für Wiederaufbau und Neubau innerhalb und außerhalb der Stadtmauern. Im September 1947 wurde deshalb der Architekt Fritz Florin aus München für die ganzheitliche Bauplanung berufen. Ihm standen Vertreter des Stadtbauamts, des Künstlerbunds und des Vereins Alt-Rothenburg zur Seite. Von 355 ganz oder teilweise zerstörten Gebäuden waren bis Ende 1950 rund 160 ganz und über 30 teilweise und von fünf zerstörten Brücken drei wieder hergestellt.
Türme und Rathaus waren zuerst dran
Größter Bauherr war die Stadt Rothenburg. Bereits im Sommer 1945 begann sie mit der Instandsetzung des Weißen Turms. Die Erhaltung kostete der Stadt rund 48.000 Reichsmark und 2.450 DM. Die bis dahin größten Schwierigkeiten verursachte der Wiederaufbau des Renaissance-Rathaustrakts am Marktplatz. Bereits 1950 konnte das wieder erstellte Rathaus in alter Schönheit seiner Bestimmung übergeben werden. Die Baukosten betrugen 128.000 Reichs- und 114.000 Deutsche Mark. Hergestellt wurden auch der Markusturm, der Thomasturm als Schlauchtrockenturm der Feuerwehr, die Röderbastei, der Rödertorturm, dem die ursprüngliche Form nach dem Stich von Merian wiedergegeben wurde, und das städtische Haus in der Wenggasse 19, in der das staatliche Eichamt untergebracht war. Aufgebaut wurde auch das 1950 in Betrieb genommene städtische Elektrizitätswerk in drei Bauabschnitten mit einem Kostenaufwand von 223.000 DM.
Währungsreform war zuerst eine große Belastung für den Wiederaufbau
Ein weiteres Problem stellte die am 17. April 1945 von der Wehrmacht gesprengte Doppelbrücke dar, ein für das Stadtbild charakteristisches und nicht wegzudenkendes Bauwerk (siehe obige Titelgrafik dieser Dokumentation). Schon waren alle Vorbereitungen für ihre Wiederherstellung getroffen und die Finanzierung gesichert, als sich Differenzen grundsätzlicher Art ergaben. Die Stadt wollte aus verkehrstechnischen Gründen die Brücke verbreitern. Vorarbeiten und Sicherstellung der Brückenruine hatte die Stadt bereits 20.000 RM und 31.000 DM gekostet, als das Landesamt für Denkmalpflege die Verbreiterung aus denkmalpflegerischen Gründen ablehnte. So stockte der Bau, der erst 1954 begonnen werden konnte. Die Brücke wurde erst 1956 eingeweiht.
Eine schwere Belastung für die städtischen und privaten Bauvorhaben brachte die Währungsumstellung von Reichsmark auf D-Mark am 21. Juni 1948. An diesem Tag gingen in Westdeutschland ein Milliardenvermögen in Reichsmark verloren. Auch die Stadt Rothenburg verlor an diesem Tag 1,16 Millionen Reichmark. Dies drückte auf die Bautätigkeit. Doch nach kurzer Zeit konnte weitergebaut werden. Nach der Währungsreform wurde das Krankenhaus-Projekt vollendet. Die frühere Frauenarbeitsschule, spätere Flugmodellbauschule (das alte Zehlersgut) wurde zu einem neuzeitlichen Krankenhaus umgestaltet. Die Kosten von 75 000 Reichsmark und 800 DM hatte die Hospitalstiftung Rothenburg übernommen. In dem nun freigewordenen alten Krankenhausgebäude in der Spitalgasse richtete man mit einem Kostenaufwand von 17.000 DM, die fast völlig aus staatlichen Zuschüssen gedeckt wurden, ein Flüchtlings-Altersheim ein. Rund 80 alte heimatvertriebene Männer und Frauen wurden anfangs dort betreut. Im Volksmund hieß diese Altenheim bis in die 1960er-Jahre hinein „Pfründe“.
Die schulische Raumnot zwang die Stadt zu einem weiteren Projekt. Das von der Stadt 1914 erbaute Schülerheim, das später aus wirtschaftlichen Gründen aufgelassen wurde und von 1933 bis 1945 dem Reichsarbeitsdienst als Lager diente, wurde als Volksschule für Knaben für 95.000 DM umgebaut und erhielt den Namen des großen Rothenburger Bürgermeisters Heinrich Toppler (gest. 1408).
Wie Phönix aus der Asche
Insgesamt brachte die Stadt für ihre neu erstellten Bauwerke in der Zeit vom Oktober 1945 bis Ende des Jahres 1949 insgesamt 492.800 Reichsmark und 535.300 DM auf, denen 174.900 DM Zuschüsse aus Staatsmitteln, 4.560 DM an Spenden und 5.000 DM als Gabe des Vereins Alt-Rothenburg gegenüberstanden. Nach 1950 ging der Wiederaufbau der zerstörten Gebäude und Straßen zügig weiter, denn Touristen, vor allem in Deutschland stationierte GIs, besuchten mit ihren Familien zunehmend die Stadt, die im wahrsten Sinne wie Phönix aus der Asche im mittelalterlichen Gewand wieder auferstand.
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