Wildbad: Sanatorium, Luxushotel, Lazarett, HJ-Musikschule, US-Truppenunterkunft, UNRRA-Camp, Polizeischule, „Residenz der Erleuchtung“, Tagungszentrum der Ev. Kirche

Anlage des Sanaroriums Wildbad

Anlage des Sanaroriums Wildbad

Von Wolf Stegemann

Nach dem angeblichen großen Erdbeben von 1356 sprudelte aus der Erde schwefelhaltiges Wasser. Die Verwertung brachte der Quelle den Namen Wildbad ein. Ein Bade- und ein Gasthaus entstanden um 1400. Um das Jahr 1900 ging das Wildbad in den Besitz von Friedrich von Hessing über, der die Anlage zu einem luxuriösen Sanatorium ausbaute. Die Blütezeit der Einrichtung fand bald ein Ende, weil nicht genügend Erholungssuchende ins Wildbad kamen und so die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ins Wanken gebracht wurde. Daher überließ Hessing die Anlage der Deutschen Bühnengenossenschaft als Ferien- und Erholungsheim für Bühnenschaffende. Auch sie  konnte das teure Objekt finanziell nicht halten. Daher kam es nach Ende des Ersten Weltkriegs in die Hand eines Geschäftsmannes, der aus dem Wildbad ein Luxus-Hotel machte, wo sich die Reichen und Schönen in Marmorbädern, Konversations- und Speisesälen, auf dem Tennisplatz und im Theatersaal trafen. Es war ein bewegtes buntes Bild der damaligen Zeit. Diese hielt nicht lange an. Die einbrechende Inflation bescherte dem glänzenden Luxustreiben das Aus.

1935 Genesungsheim der Ortskrankenkassen

Kinderheim im Wildbad

Katholisches Kinderheim im Wildbad

Der Bayerische Krankenkassenverband erwarb das Sanatorium 1925 und betrieb es als Genesungsheim für Krankenversicherte. Um die Wirtschaftlichkeit aufrecht zu erhalten, dehnte der Verband die bis dahin auf Bayern begrenzte Belegung über die Grenzen Bayerns aus. Von 1925 bis 1939 unterhielten die „Töchter vom Allerheiligsten Erlöser“ (Würzburg) im Sanatorium Wildbad ein Kinderheim und widmeten sich auch der Krankenpflege. Durch Verordnung des Reichsarbeitsministeriums gingen ab 1935 alle Genesungsheime der gesetzlichen Krankenkassen in den Betrieb der Landesversicherungsanstalten über. Gegen die Übernahme des Rothenburger Wildbads erhoben die Bayerischen Landesversicherungsanstalten aus wirtschaftlichen Gründen erhebliche Bedenken. Daher wurde das Wildbad vom Reichsverband der Ortskrankenkassen übernommen, der eine reichsweite Belegung sicherstellen konnte. Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ feierte im Wildbad-Saal 1938 ihr fünfjähriges Bestehen. Dabei waren u. a. Kreisleiter Karl Steinacker, Kreisdienststellenleiter der KdF, Lunz, sowie Prominenz aus Partei, Stadt und Kreis. Obermusikmeister Streckfuß dirigierte  den „Treueschwur“ von Kistler, den die Stadtkapelle spielte. Die Bayerische Landesbühne brachte die Komödie „Ein ganzer Kerl“ auf die Bühne.

Lazarett-Belegschaft, vermutlich 1939l

Lazarett-Belegschaft, vermutlich 1939l

1939 Lazarett der Wehrmacht

Der Reichsverband der Ortskrankenkassen plante eine umfassende Modernisierung der Gebäude und der sie umgebenden Anlagen. 1939 sollte damit begonnen werden. Dies verhinderte der Kriegsbeginn. Die Wehrmacht beschlagnahmte das Sanatorium und richtete dort ein Hilfs-Lazarett ein. Leiter des Lazaretts war Oberstabsarzt Dr. Rudolph. Ihm zur Seite stand Stabsarzt Dr. Hegenberger. Die ersten Verwundeten kamen im Oktober.
Diese wurden mit einem Festakt begrüßt, an dem die gesamte Stadt- und Kreisprominenz aus Partei und Verwaltung sowie Vertreter der SA und SS teilnahmen. Die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ übernahm die Betreuung der Verwundeten, indem sie für das Lazarett Geschenke sammelten wie Musikinstrumente, Zigaretten, Spielkarten, Unterhaltungsspiele, Schreibpapier, Malsachen und Bücher. Sie vermittelte auch Auftritte des „Meistertrunks“ und der Hans-Sachs-Spiele sowie anderer Theaterspiele für die Verwundeten. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb am 20. Oktober 1939 unter der Überschrift „Seelische Betreuung der Verwundeten durch die Partei“:

„Die NSG ,Kraft durch Freude’ hat die Aufgabe, den Soldaten die Freizeit im Lazarett so unterhaltsam wie möglich zu gestalten. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine seelische Betreuung. Veranstaltungen jeglicher Art werden nur durch die Partei bzw. durch die von ihr beauftragte NSG ,Kraft durch Freude’ durchgeführt, die ihrerseits einheimische und auswärtige Kräfte zur Durchführung ihrer Aufgabe heranziehen wird. Die körperliche und gesundheitliche Betreuung liegt ausschließlich in den Händen des Chefarztes und des Personals, dagegen wird die Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung (NSKOV) als die Organisation der nationalsozialistischen Kriegsopfer sich die Pflege der Kameradschaft angelegen sein lassen“

In der Nacht vom 15. zum 16. Februar 1940 erhängte sich auf der Toilette des Lazaretts der 44 Jahre alte Wehrmachtssoldat Wilhelm Bach aus Archshofen, der an Rheuma litt. Die unvorsichtige Äußerung gegenüber seinem Bettnachbarn, dass er gegen den Krieg sei, hatte dieser, ein junger SS-Mann, an den Oberstabsarzt Dr. Rudolph weitergegeben. Dieser meldete die Äußerung Bachs an das Kriegsgericht. Daher beging der Soldat Suizid. Auf Ersuchen des Divisionsgerichts der Division 173 in Nürnberg, fand eine gerichtliche Leichenschau statt. Das Amtsgericht Rothenburg gab anschließend die Leiche zur Bestattung frei.

1942 Musikschule der Hitlerjugend-Gebietsführung Franken

NSDAP-Kreisleiter Steinacker testet in Wildbad das Eintopfessen

NSDAP-Kreisleiter Steinacker testet in Wildbad das Eintopfessen

Die Wehrmacht musste 1942 das Lazarett räumen. Die mehr als 300 untergebrachten Verwundeten mussten innerhalb weniger Tage auf Behelfslazarette in der Stadt verteilt werden, die erst noch gefunden und beschlagnahmt werden mussten. Grund dieser übereilten Aktion war eine Anordnung des Rothenburger Landrats auf Anweisung der Partei. Die NSDAP richtete dort eine Musikschule der „Hitlerjugend-Gebietsführung Franken“ ein und berief sich bei der Beschlagnahme des Lazaretts auf das Reichsleistungsgesetz. Zwar versuchte der Reichsverband der Ortskrankenkassen als Eigentümer dies zu verhindert, hatte aber damit keinen Erfolg. Erst Anfang 1944 gelang es, einige Räume wieder frei zu bekommen, damit der Reichsverband, nachdem seine Geschäftsräume in Berlin durch Bomben vernichtet worden waren, seine Hauptverwaltung in das Rothenburger Wildbad verlegen konnte. – In den letzten Kriegsmonaten hatten im Wildbad die jeweiligen Kampfkommandanten, der Stadtkommandant, darunter kurzfristig General Karl Weissenberger (Wehrkreis XIII), der SS-General Max Simon und zuletzt Oberstleutnant Fritz Thömmes sowie der Standortälteste  Wilhelm Rosenau ihren Sitz in den Gebäuden. In den letzten Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner auch der stellvertretende NSDAP-Gauleiter Holz, der es dann aber vorzog, wieder nach Nürnberg zurückzugehen, um in den dortigen Ruinen aussichtslos zu kämpfen und für den Führer zu fallen.

Am 16. April 1945 wurden sechs US-Parlamentäre auf der Straße nach Rothenburg angehalten und in einem Militärwagen mit verbundenen Augen nach Rothenburg gefahren. Im Wildbad nötigten sie dem Stadtkommandanten Thömmes die Zusicherung ab, in der Nacht alle deutschen Soldaten zurückzuziehen, sonst werde innerhalb der nächsten Stunden die Stadt mit Artillerie beschossen. Anderntags rückten die US-Amerikaner ohne Gegenwehr in die Stadt ein.

1945 Unterkunft für US-Truppen

Nach Kriegende beschlagnahmte das US-Militär 1945 die Gebäude als Truppenunterkunft. Ein Jahr später, am 19. Juni 1946, belegte das UNRRA-Team 167 das Sanatorium. Die „United Nationals Relief and Rehabilitation Administration“, kurz UNRRA genannt, hatte den deutschen Namen „Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen“. Diese Hilfsorganisation wurde bereits 1943 auf Initiative der USA, Sowjetunion, von Großbritannien und China gegründet und nach Kriegsende von der UNO übernommen. Sie war in Europa bis Ende 1946 tätig und wurde danach durch die „International Refugee Organization“ (IRO) ersetzt.

1946 Sitz des UNRRA-Teams 167 zur Betreuung von Displaced Persons

Mädchen aus dem KZ Buchenwald in der Obhut der UNRRA

Mädchen aus dem KZ Buchenwald in der Obhut der UNRRA

Hauptaufgabe dieser Organisation, von der das 167. Team im Wildbad stationiert und dem US-Stadtkommandanten unterstellt war, war die Mithilfe bei der Repatriierung der so genannten Displaced Persons (DP). Die UNRRA betreute die befreiten und heimatlos gewordenen Juden aus den Konzentrationslagern, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in ihren Lagern. Gegenüber dem Roten Kreuz war die UNRRA weisungsberechtigt. Als Hauptquartier für die US-Zone diente der UNRRA seit November 1945 das Gebäude des heutigen Karlsgymnasiums München-Pasing, für den Kreis Rothenburg das Wildbad.
Nachdem das Ziel der Repatriierung aller DPs bis 1947 nicht erreicht werden konnte, wurde die UNRRA aufgelöst. Obwohl die überwiegende Mehrzahl der Betroffenen repatriiert werden konnte, wurde der UNRRA von mehreren Seiten Erfolglosigkeit vorgeworfen.
Ihre Nachfolgeorganisation IRO verfolgte das Ziel, die nicht repatriierten DPs in anderen Ländern, wie z. B. Australien, Kanada oder Palästina, anzusiedeln oder in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Dieser Ansatz wurde als Resettlement bezeichnet.

UNRRA-Betreuerin

UNRRA-Betreuerin

Das UNRRA-Team 167 in Wildbad wurde von der US-Verwaltungs-Offizierin E. Wilson geleitet. Die Gebäude waren bei der Übernahme in keinem guten Zustand. Viele Fenster und Ausrüstungsgegenstände waren zerbrochen, die Farben der Türen und Wände „sehr beschädigt“ und zwei abseits gelegene Gebäude in fast zerstörtem Zustand. Veränderungen durften nur mit Genehmigung des US-Stadtkommandanten (Town Major) oder des zuständigen Ingenieur-Offiziers (Engineer Officer) vorgenommen werden. Hauptsächlich wurden hier Menschen aus dem Baltikum betreut und repatriiert. 1949 diente das Wildbad als Sommerlager der YMCA, die sich Mühe gab, die Häuser einigermaßen herzurichten, was allerdings trotz aller Mühe nicht so recht gelang. International bekannt ist die Bewegung unter dem englischen Namen „Young Men’s Christian Association“ und ist im „World Alliance of YMCAs“ mit Sitz in Genf (Schweiz) zusammengeschlossen.

1951: Führerschule der Bayerischen Bereitschaftspolizei

Nach Freigabe der immer noch im Eigentum des Rechtsnachfolgers des Reichsverbands der Ortskrankenkassen befindlichen Einrichtung Wildbad musste 1950 über eine neuerliche Verwendung nachgedacht werden. Die Stadtverwaltung vermittelte zwischen dem Krankenkassenverband als Eigentümer, und der erst 1951 aufgestellten Bayerischen Bereitschaftspolizei die Übernahme. Im Januar 1951 fand eine erste Begehung der Gebäude durch den Leiter der Bayerischen Bereitschaftspolizei mit dem Eigentümer statt, vertreten durch Direktor Esser. Das Bayerische Innenministerium pachtete das Anwesen im April 1951. So diente das Wildbad bis 1976 als Polizeischule.

Wildbad heute

Wildbad heute

1981 Tagungszentrum der Evangelischen Landeskirche

Ein Jahr später errichtete die „Gesellschaft für Transzentrale Meditation“ im Wildbad die „Residenz des Zeitalters der Erleuchtung“ und richtete zum Jahreswechsel eine erste Tagung aus. Daraufhin machte die Stadt Rothenburg im Februar 1978 von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und erwarb das Anwesen für 300.000 DM vom Rechtsnachfolger des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen und überließ es zum gleichen Preis dem Diakoniewerk Neuendettelsau. 1981 wurde ein Trägerverein Wildbad gegründet, in dem sich die evangelische Landeskirche, das Diakoniewerk Neuendettelsau und acht westmittelfränkische Dekanate zusammenschlossen, um dort nach einer umfassenden Renovierung eine Tagungsstätte zu errichten. Heute ist das Wildbad als „Landeskirchliche Einrichtung“ der direkten Leitung des Landeskirchenamtes unterstellt. Einer der Schwerpunkte der Arbeit sind, wirtschaftsethische Fragestellungen in Kirche und Gesellschaft zu begleiten.

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Quellen: „Fränkischer Anzeiger“ vom 20. und 23. Okober 1939, vom 2. März 1951. – Stadtarchiv Rothenburg ob er Tauber, Beerdigungsschein Wilhelm Bach vom 17. Februar 1940 (Gs 10/40). – Inventaraufstellung UNRRA 167, 2. Oktober 1946 (000/35). – Siegfried Hanselmann (Hg): „Wildband Rothenburg o. d. T. – Von der Heilquelle zum Tagungszentrum“, Druckhaus Sonnefeld, o. J.

 

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