Von Wolf Stegemann
Er kannte die Stadt, liebte ihre mittelalterliche Kulisse mit der Lage über der Tauber, ihre herrschaftlichen Patrizier- und winkeligen Fachwerkhäuser. Wolf-Heinrich Graf von Helldorf heiratete am 11. Oktober 1920 Ingeborg Ellynor von Wedel aus Darmstadt im Rothenburger Rathaus. Seine 1894 geborene Frau war in erster Ehe mit einem Grafen von Bachtenborck verheiratet. In Helldorfs Familie war zu erfahren, dass er in Rothenburg geheiratet habe, weil er lange mit einer Rothenburger Familie befreundet gewesen war, sie in den 1930er-Jahren mehrmals besucht habe, deren Name man aber nicht mehr wisse. Darüber war auch anderweitig bislang nichts zu erfahren gewesen. Fest steht allerdings, dass im September 1937 Graf Helldorf und seine Frau zusammen mit dem befreundeten Ehepaar Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und seiner Frau Charlotte zu einem mehrtägigen Besuch in Rothenburg war, wo die Helldorfs den Schulenburgs die Stadt ihrer Hochzeit zeigten. – Graf von Helldorf schloss sich schon Mitte der 1920er-Jahre der NSDAP an, machte Karriere in der SA und SS und wurde Polizeichef von Berlin. Nachdem ihm bewusst wurde, in welchem verbrecherischen Regime er sich auch persönlich schuldig gemacht hatte, vielleicht auch nur, um – wie von ihm häufig praktiziert – sich nach beiden Seiten abzusichern, nahm er Kontakte zum militärischen Widerstand auf und erlebte nun die Verbrechen der Polizei, die er bis dahin leitete, am eigenen Leib. Er wurde nach dem Attentatsversuch vom 20. April 1944 gegen Hitler vom Volksgerichtshof verurteilt und hingerichtet.
Schon 1931 Fraktionsvorsitzender der NSDAP im preußischen Landtag
Der 1896 in Merseburg geborene Wolf-Heinrich Graf von Helldorf entstammte einer meißnisch-anhaltinischen Familie. Seine Erziehung und Denkweise war nationalistisch und antisemitisch. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, an dessen Ende er als Leutnant der Husaren entlassen wurde, kämpfte er als Angehöriger mehrerer Freikorps weiter, darunter das Freikorps Roßbach. 1920 heiratete der Adelige in Rothenburg und musste danach nach Italien flüchten, weil er sich am Kapp-Putsch gegen die Republik beteiligt hatte. Nach Rückkehr im Jahre 1924 betätigte sich Helldorf als Rittergutsbesitzer in der Landwirtschaft in Wolmirstedt unweit von Memleben im Unstruttal (heute Burgenlandkreis), gehörte dem „Stahlhelm“ an, war bis 1925 aktiv im Frontbann im Saale-Unstrut Gau und Naumburg tätig und wurde 1927 Präsident der Sächsischen Landwirtschaftskammer.
Stand bei Goebbels im Verdacht einer möglichen Homosexualität
Von 1924 bis 1928 und ab 1932 war Graf Helldorf Mitglied des preußischen Landtags, zunächst für die Nationalsozialistische Freiheitspartei in Preußen (NSFP) und ab 1925 für die NSDAP (Mitgliedsnummer 325.408), deren Fraktionsvorsitzender er 1932 wurde. Er trat der SA bei und fungierte als Führer der Standarte 2 der Berliner SA. Nach der Berichterstattung beim Berliner Gauleiter Goebbels im Juli 1931 schrieb dieser in sein Tagebuch: „Röhmer? 175?“ (SA-Chef Röhm war homosexuelle; § 175 des StGB stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe).
Lange vor der Machtübernahme seiner Partei organisierte er bereits am 12. September 1931 antijüdische Krawalle in Berlin. Im darauf folgenden Strafverfahren kam Helldorf, der von Roland Freisler verteidigt wurde, mit einer geringen Strafe davon. In der Funktion als oberster SS-Führer von Berlin-Brandenburg (ab 1933) gab er angeblich die Parole heraus, dass für jeden getöteten Nationalsozialisten jeweils zehn Marxisten zu sterben hätten. Gleichzeitig wurde er in den Reichstag gewählt, zum Polizeipräsidenten von Potsdam und ab 1935 von Berlin ernannt sowie zum Vizepräsidenten der Boxsportbehörde berufen. Er war General der Polizei und erreichte als SA-Führer den Rang eines Obergruppenführers.
Ein schillernder Lebemann mit chronischen Wettschulden
Helldorf war eine schillernde Person. Mit seinen Rennpferden erzielt er erhebliche Gewinne, die er jedoch zur Schuldentilgung einsetzen musste. 1931 verlor der Lebemann durch Bankrott sein geerbtes Rittergut, denn der Herr Graf führte einen verschwenderischen Lebenswandel und hatte Wettschulden. Daher soll er sich bei dem bekannten Hellseher Erik Jan Hanussen immer wieder Geld geliehen haben, was seine Schulden vermehrte. Auch als Polizeipräsident machte Helldorf durch Spielschulden, Luxuskäufe, unbezahlte Rechnungen und Mietschulden von sich reden. Es kam sogar zu Gehaltspfändungen. Mehrfach erhielt Helldorf zur Entschuldung zinslose „Darlehen“ in beträchtlicher Höhe, die ihm aus Parteikassen gezahlt wurden und die er nicht zurückzahlen musste. In der Wohnung von SA-Führer Karl Ernst, der 1934 im Zuge der Röhm-Affäre von der SS ermordet wurde, fand man 1934 Quittungen, die Helldorf für den Erhalt von Geldbeträgen vom jüdischen Hellseher Erik Jan Hanussen (1889-1933) unterzeichnet hatte.
Von Anfang an ein nationalsozialistischer Judengegner
Helldorf war Antisemit. Im März 1933 leitete er eine Gruppe von SA-Leuten, die in Berlin ein Krankenhaus stürmte und Helldorf den ärztlichen Direktor sowie weitere jüdische bzw. kommunistische Ärzte eigenmächtig absetzte. Er war „ein eifriger Befürworter schärferer legaler Verfolgungsmaßnahmen“ gegen Berliner Juden, worüber Josef Goebbels am 2. Juli 1938 in sein Tagebuch schrieb: „Helldorf will in Berlin ein Judenghetto errichten. Das sollen die reichen Juden selbst bezahlen.“ Helldorf erließ 1938 „Richtlinien für die Behandlung von Juden-Angelegenheiten“, die in 76 Punkten kleinlichste Verwaltungsschikanen enthielten: Vorladungen vornehmlich am Sabbat, schärfere und häufigere Kontrollen, Verwaltungsgebühren zum Höchstsatz. Als Lebemann oft in Geldnöten, verhängte er eine Passsperre für Juden mit Vermögen über 300.000 Reichsmark und erteilte die Ausreiseerlaubnis gegen gigantische Zwangsspenden, genannt „Helldorf-Spenden“.
Kontakte zum Widerstand – Tod am Fleischerhaken
Graf Heldorff war mit seinem Untergebenen Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg befreundet, der zu den Widerstandskreisen des 20. Juli gehörte und zum Tode verurteilt wurde. Daher bekam er Kontakt zu Widerstandskreisen, denen er sich vorsichtig anschloss, indem er ihnen Informationen zuspielte oder belastendes Material vor der Gestapo zurückhielt. Helldorfs zögerliche und daher von Historikern als widersprüchlich bewertete Haltung beim Staatsstreich wird dahin gedeutet, dass sich Helldorf nach beiden Seiten absichern wollte. Das nütze ihm aber nichts. Er wurde vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler wegen Verschwörung zum Tode verurteilt. Über den Verrat Helldorfs klagten die Paladine des Reichs. Goebbels sprach von Undankbarkeit, Speer von „Gier“, Himmler warf ihm Korruption vor und Adolf Hitler klagte, er habe dem Grafen vier- oder fünfmal die Schulden bezahlt, selten weniger als 100.000 Mark. Hitler ordnete an, dass Helldorf drei Hinrichtungen zusehen müsse, bevor er selbst am 15. August 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt werden sollte. – In der Literatur über den Widerstand des 20. Juli 1944 wird Wolf-Heinrich Graf von Helldorf kaum und nur am Rande erwähnt.
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Exkursion: In Naumburg dem Rothenburger Nationalsozialisten Friedrich Uebelhoer begegnet
Bei frühen Parteiveranstaltungen in Naumburg an der Saale ist Graf Helldorf mit dem aus Rothenburg stammenden NSDAP-Kreisleiters von Naumburg und späteren Regierungspräsidenten in Merseburg, Friedrich Uebelhoer, mehrmals zusammengetroffen. Uebelhoer wurde 1893 in Rothenburg geboren und besuchte das Gymnasium, bevor er studierte. Uebelhoer und Helldorf lagen mehrmals miteinander in politischem Streit. – Aus dem „Stahlhelm“ trat Helldorff aus, weil ihn SA-Chef Ernst Röhm bei einer Begegnung in Halle an der Saale für die SA stark begeisterte.
Im Wehrwolf-Kampfblatt „Kamerad, weißt du noch?“ wird 1934 an den Aufbau der NSDAP im Unstrut-Gau und den Kampf gegen die Weimarer Republik erinnert: „Auch wird es dem Wehrwolf unvergessen bleiben, dass sein Führer [Fritz Kloppe, Halle] im November 1923 den Wehrwolf als einzigen norddeutschen Verband zusammen mit dem bekannten Grafen Helldorf und dem jetzigen SS-Gruppenführer Thüringens Karl Freiherr von Eberstein marschbereit für Hitler hielt. Ein Einsatz konnte durch den bekannten Verrat in München doch nicht erfolgen.“ Freiherr von Eberstein wurde später SS-Obergruppengruppenführer, 1936-1942 Polizeipräsident von München, General der Waffen-SS und Gerichtsherr über das KZ Dachau. 1948 lediglich zu einer Geld- und einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Unumstritten war Helldorf nie. Noch im Jahr 1925 kann sich die NSDAP-Ortsgruppe Naumburg über die Einschätzung seiner Tätigkeit im „Frontbann“ nicht einigen wie es im Protokoll einer Versammlung am 3. September 1925 „Dunkelbergs Garten“ erneut darstellt wurde. Teilgenommen haben nicht nur Angehörigen der NSDAP-Ortsgruppe. Dabei waren auch Graf von Helldorff, Friedrich Karl Freiherr von Eberstein (1894-1979) und Paul Hinkler. Wieder ging es um die Zukunft des Wehrverbandes und das Verhältnis von Helldorf als DVFP-Anhänger zur NSDAP. Von dem anwesenden Friedrich Uebelhoer sind die Worte überliefert: „Die politische Ortsgruppe der N.S.D.A.P. habe mit Graf Helldorf nichts, aber auch gar nichts zu tun.“ Von Eberstein warf Hinkler „Ehrlosigkeit und Feigheit“ vor. Der sprang auf und es kam zwischen beiden zum Handgemenge. Überschäumende Auseinandersetzungen waren in diesen Kreisen nichts Ungewöhnliches. – Im Hintergrund schwelt noch ein ganz anderer Konflikt: Hinkler erhob Ansprüche auf die Diäten des Landtagsabgeordneten Graf von Helldorf. Eberstein wies dies zurück. Im Übrigen unterstützte er den „Frontbann“ bereits aus privaten Mitteln. Helldorff verabschiedete sich im September 1925 aus dem „Frontbann“, was Ernst Röhm anerkennend würdigte. „Das wird immer ein Ruhmesblatt für ihn sein.“ (Nach Harrison 389.)
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Quellen: Dr. Detlef Balau: Website “Naumburger Geschichte” (http://www.naumburg-geschichte.de/geschichte/nsdap.htm). – Ernst Klee „Das Personen-Lexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945“, Frankfurt 2003. – Gespräch Stegemann mit Familienangehörige Helldorff (2013). – Wolf Stegemann/Thomas Ridder: „Der 20. Juli 1944. Die Schulenburgs. Eine Familie im tragischen Konflikt zwischen Gehorsam und Hochverrat“, Dorsten 1994. – Frank Bajohr „Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit“, Fischer 2001. – Joachim Fest „Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli 1944“, Siedler 1994. – Wolf Stegemann „Der rote Graf reorganisierte 1930 bis 1932 das Vest Recklinghausen“ in RN vom 20. Juli 1984. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2013).
Eric Jan Hanussen, bürgerlicher Name Herrmann Steinschneider,ist auf dem Südwest-Kirchhof Stahnsdorf bei Berlin und Potsdam im März 1933 beigesetzt worden.
Sein Grab befindet sich auf dem Block Charlottenburg.Hanussen befindet sich auf der Liste der Prominenten des zweitgrößten Friedhofs in Deutschland.